Der Ferne nah

Möbelprojekt lädt zu phantasievoller „Zimmerreise“ ein

Zimmerreise
© Laura Bernhardt, Karlsruhe

Der Mensch setzt sich in Bewegung, erweitert seinen Horizont, entdeckt Neues und Unbekanntes, sehnt sich nach Ferne und Fremde. Nicht umsonst beginnt Laura Bernhardt ihre Diplomarbeit mit dem Titel „Der Ferne nah. Die Reise um mein Zimmer“ mit einem Zitat von Charles Baudelaire, den sie als ewig Voranschreitenden und nie Ankommenden beschreibt: „Wohin auch immer! Wenn es nur außerhalb der Welt ist“. Oder: „Mir scheint immer, dort, wo ich nicht bin, wäre ich glücklich ...“ Doch Laura Bernhardt geht gar nicht selbst auf große Fahrt, sie fordert vielmehr dazu auf, den eigenen Raum nicht zu verlassen und stattdessen eine Art gedankliche, imaginäre, phantastische Reise zu unternehmen. Für ihre „Zimmerreise“, 2008 an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe erschienen, entwarf sie ein Möbel, mit dem man träumen und sich entspannen kann, das sanft schaukelt wie ein Boot im Meer. 

Robinson Crusoe für 42 Tage 

In der Zeit von Billigflugreisen in exotischste Länder entwickelte Laura Bernhardt eine Alternative zum energieverschwendenden Luxus der Reiselust: die „Zimmerreise“. Ausgehend von einem Roman von Xavier de Maistre, „Voyage autour de ma chambre“, gestaltete sie ein Gerät für Phantasiereisen, mit dem man in Räumen in ferne Gebiete der Vorstellung entfliehen kann. Maistre erfand 1789 die literarische Zimmerreise, als er wegen eines Duells zu sechs Wochen Stubenarrest verurteilt wurde. Die Arrestwochen, die den feudalen Lebensstil dieses adeligen Karriere-Offiziers nicht maßgeblich beeinträchtigt haben dürften, verwandeln sich fast nebenbei in eine zweiundvierzigtägige literarische Zimmerreise, die er, nur um nicht von Langeweile überwältigt zu werden, inszenierte. „Alle Ereignisse, alle Länder, alle Welten und alle Wesen, alles das ist mein, alles das gehört mir ebenso gut, ebenso rechtmäßig wie die Schiffe, die in den Hafen von Piräus einliefen, irgendeinem Athener gehörten." 

Von Schiffen und anderen Booten 

Die mit Förderung der IKEA Stiftung entstandene Diplomarbeit teilt sich in zwei Teile: zum einen in ein Booklet mit vielfältigen Anregungen und Assoziationen zum Bau des eigentlichen „Möbels“, zum anderen in das „Möbel“ selbst und seine Präsentation. Die Form des „Möbels“ erinnert eher an ein Schiff als an ein Bett. Laura Bernhardt hat bei der Konstruktion darauf geachtet, dass es leicht auf- und abgebaut werden kann und dass weder Werkzeuge noch Spezialbeschläge notwendig sind. Es ist eine veränderbare Bühne für Inszenierungen. Die Objekte von „L’autour de ma chambre“ – Boot, Teppich „grid“ und Segel „sail“ – sind von dem Benutzer veränderbar. Er wird sogar aufgefordert, mit den Objekten in Interaktion zu treten, sie mit Vorhandenem zu verbinden und so neue Beziehungen zu den Objekten herzustellen. Dadurch transformiert sich das Objekt zu einem „Raumschiff“ voller Poesie und Lebensfreude. 

Auf Expedition zu den Gedanken im Kopf 

Momentaufnahmen fremder Menschen scheinen besonders gut für eine „Zimmerreise“ geeignet zu sein. Mit Laura Bernhardt befreundete Künstler dokumentierten für sie ihre Reiseerlebnisse. Ansichten von Rettungsringen, farbige Mülltonnen, romantische Balkone, eine Hand beim Briefeschreiben oder der Blick in einen unbekannten Kühlschrank lösen scheinbar eine ganze Flut von Bildern aus, auf deren Woge die Zeit ohne weiteres Zutun verrinnt. Reisen findet somit im Kopf statt, und anstelle von 80 Tagen um die ganze Welt, sind es nur Minuten oder Stunden, bis der Reisende wieder sicheren Boden unter den Füßen hat.

Antragsteller: Laura Bernhardt, Staatliche Hochschule für Gestaltung, Karlsruhe
Projekttitel: Diplomarbeit: "Der Ferne nah – Die Reise um mein Zimmer"