Nicht jede Stadt ist eine Boom-Town

Ideen und Handlungskonzepte für den Umgang mit schrumpfenden Städten

Schrumpfende Staedte
© Büro Philipp Oswalt, Berlin

Die Leipziger Galerie für Zeitgenössische Kunst präsentierte sich vom 25. November 2005 bis 2. Februar 2006 als Baustelle der ganz besonderen Art. Zwischen dem Neubau und dem Stammhaus in der Herfurthschen Villa schirmte ein Bretterzaun die Eingangszone ab, ein Container diente als provisorisches Kassenhäuschen. Von Arbeitern in gelben Schutzwesten, schweren Maschinen und ohrenbetäubendem Lärm fehlte jedoch jede Spur. Nur die auf dem Zaun aufgeklebten Plakate mit grotesken Losungen wie „Ostdeutschland halbieren“, „Rückschritt kultivieren“ oder “Stillstand beschleunigen“ wiesen die vermeintliche Baustelle als Kunstinstallation aus. Unter dem Titel „Schrumpfende Städte – Interventionen“ wurden rund drei Dutzend Projekte gezeigt, die um Themen wie Deindustrialisierung und Bevölkerungsschwund sowie Umbau und Niedergang von Städten und deren Folgen kreisen. 

„Rückschritt kultivieren“ 

Die von Philipp Oswalt (Professor für Architekturtheorie und Entwerfen an der Universität Kassel) und seinen Mitkuratoren konzipierte Ausstellung ist Teil eines groß angelegten Projekts der Kulturstiftung des Bundes, das sich mit den kulturellen Aspekten schrumpfender Städte befasst. „Handlungskonzepte“ für den Umgang mit der Verödung von Schrumpfstädten vor allem in Ostdeutschland sollten dabei weniger als konkrete städtebaulich oder sozialpolitisch umsetzbare Maßnahmen, sondern vielmehr als utopische Visionen gezeigt werden. Indem nämlich Gegenentwürfe traditionelle Erwartungen an Urbanität unterlaufen, schaffen sie (Frei-)Räume für neue Denkmuster. 

„Ostdeutschland halbieren“ 

Menschen ziehen weg, Metropolen schrumpfen. In der Bundesrepublik ist der Osten Vorreiter dieser Entwicklung. Bekannt sind die Zahlen, die das Mantra vom „Aufbau Ost“ konterkarieren: 1,3 Millionen leerstehende Wohnungen, 20 Prozent Arbeitslosigkeit. „Wir befinden uns mitten in einem gravierenden Wandel“, sagt Philipp Oswalt, dem neben der Bundeskulturstiftung auch die IKEA Stiftung mit finanzieller Unterstützung bei der Ausstellungsverwirklichung fördernd zur Seite stand. Dennoch sei das Schrumpfen der Städte lange Zeit beinahe ein Tabuthema gewesen, das sich allein mit dem „Abbau von Überhängen“ (sprich Abriss) nicht lösen lasse. Die Ausstellung denkt weiter und wird so zu einem Markt der Möglichkeiten: Karten, Diagramme, Fotografien, Installationen, Videoarbeiten und Malerei archivieren den Alltag des Menschen, der sich in den schrumpfenden Städten etwas einfallen lassen muss. Es geht darum, dass Not eben doch erfinderisch macht und zum Motor für Kreativität wird. So wird anschaulich gemacht, wie sich Menschen Räume aneignen, neue Arbeitsformen entwickeln, wie Subkulturen wachsen und wie damit auch Kritik an bestehenden Planungsstrukturen geäußert wird. 

„Leere abreißen“ 

Philipp Oswalt führt gerne zwei internationale Referenzstädte des Projekts als Beispiele an: Manchester und Detroit. Dort hätte sich in den vergangenen Jahrzehnten die Musikszene etabliert – erst der industrielle Niedergang habe die entsprechenden Subkulturen aufkeimen lassen. Stadtschrumpfung kann, positiv besetzt, als ein kultureller Transformationsprozess begriffen werden, der dem Neuen erst Raum und damit Zukunft gibt. Londoner Architekten, Filmemacher und Choreografen hatten für zwei Wochen eine Herde Kühe in die Liverpooler Innenstadt gebracht, um mit ihrer Performance die Möglichkeiten innerstädtischer Kleinlandwirtschaft zu verhandeln. Ihr Video-Beitrag „Cow – the udder way“ zeigt, dass Jugendliche, die sich zuvor für nichts mehr in ihrer Umgebung interessierten, sich mit einem Mal rührend um die Vierbeiner kümmerten. Auch so lassen sich Brachflächen nutzen. Hingehen, wo andere weggehen. Und hinsehen statt wegsehen.

Antragsteller: Büro Philipp Oswalt, Berlin
Projekttitel: Ausstellung „Schrumpfende Städte 2“ in Leipzig